Besinnung
Liebe Leser,
da bin ich wieder. Erneut wurde mir nach dem Wechsel von Pfarrer Matthäus nach Callenberg die Hauptvertretung für ihr Gemeinde übertragen. Eine Vorstellung meiner Person erübrigt sich, da wir uns nach so kurzer Zeit noch kennen. Stattdessen grüße ich Sie mit einem Bibelwort: "Erbarmt euch derer, die zweifeln. (Judas 22)".
Ein indisches Sprichwort sagt: "Der Zweifel ist das Wartezimmer der Erkenntnis". Jeder weiß: Der Aufenthalt im Wartezimmer ist zwiespältig. Mal wälzt herumliegende Zeitschriften, kann sich aber nicht so recht auf den Inhalt konzentrieren. Jederzeit rechnet man damit, aufgrufen zu werden. Es soll schon vorgekommen sein, dass die Zahnschmerzen vor lauter Aufregung plötzlich verschwanden. Ernsthaft denkt man darüber nach, ob man nicht selbst ebenfalls selbst verschwinden sollte. Zweifeln begleitet in allen möglichen und unmöglichen Lebenslagen. Mal werden sie uns als hilfreiche Stufen im Lernprozess des Lebens angepriesen. Ein andermal spürt man, wie Zweifel zermürbt und den Schlaf raubt. In der theologischen Wissenschaft spricht man vom methodischen Zweifel. Die Bibel soll grundsätzlich im Zwielicht betrachtet und ihr mit Mißtrauen begegnet werden. Wer dem Wort Gottes grundsätzlich vertraut, dem wird ein schlechtes Gewissen gemacht, weil er sich angeblich nicht auf der Höhe der Zeit befindet. Zweifel kann sogar zur Modeerscheinung werden. Das Duo Arno & Andreas sang in den Siebzigern ein Lied, in dem es hieß: "Nichts mehr auf der Welt ist scheinbar kein Problem; am besten, man ist kompliziert und unbequem...". Auch die Bibel erzählt vom Zweifel. Besser gesagt von Menschen, die auch so ihre Zweifel hatten. Zum Beispiel die Jünger von Jesus. Kurz bevor er sie per Missionsbefehl in die Spur schickt, fallen sie anbetend vor ihm nieder - einige aber zweifelten. Der bekannteste Zweifler ist ebenfalls aus der Zwölferrunde: Thomas. Er zweifelt, ob ihm seine Mitjünger auch die Wahrheit erzählt haben. Er kann es nicht glauben, dass Jesus auf erstanden ist. Erst als er ihn berührt, sind seine Zweifel fort. Wenn so herausragende Gestalten der Christenheit vom Zweifel wussten, dann ist es nicht außergewöhnlich, wenn auch uns Zweifel plagen. Man sagt: Der Zweifel ist der Bruder des Glaubens. Ja, es scheint wohl so zu sein: Keine Rose ohne Dornen und kein Glaube ohne Zweifel. Der obige Satz aus dem Brief des Judas fordert deshalb auf, sich derer zu erbramen, die zweifeln. Hochmütiges Gehabe denen gegenüber, deren Glaube gerade auf wackligen Beinen steht, weil sie am Zweifeln sind, hilft niemandem. Wer weiß, ob es mich nicht selbst im nächsten Moment 'erwischt' und mein so stark empfundener Glaube plötzlich zu Talfahrt ansetzt.
Ihr alter und neuer Vakanzvertreter
Jens Märker